Sekundäre Pflanzenstoffe

Die entzündungshemmende Wirkung von Salbei (Salvia officinalis) beruht auf seinen sekundären Pflanzenstoffen: ätherisches Öl, Gerbstoffe, Bitterstoffe und Flavonoide

Die sekundären Pflanzenstoffe nehmen in der Pflanze wichtige Funktionen ein, zum Beispiel als Schutz vor Fressfeinden, Krankheitserregern oder UV-Strahlung. Zu den sekundären Pflanzenstoffen in einer Heilpflanze gehören unter anderem Flavonoide, Gerbstoffe, Alkaloide, Glykoside, Aldehyde, Terpene und Phenole.

Sekundäre Pflanzenstoffe als Abwehr- und Kommunikationsmittel

Das Gemisch sekundärer Pflanzenstoffe, das eine Pflanze zur Heilpflanze für Mensch und Tier werden lässt, übernimmt auch in der Pflanze wichtige Aufgaben. Pflanzen schützen sich mithilfe dieser Substanzen vor diversen Fressfeinden, zum Beispiel vor Insekten, Bakterien, Pilzen oder Viren. Sie halten damit aber auch konkurrierende Nachbarpflanzen auf Abstand oder schützen sich vor zellschädigender UV-Strahlung. Die UV-schützende Wirkung können wir häufig an einer rötlichen Blatt- oder Fruchtfärbung erkennen. So bekommen Äpfel im Sonnenlicht rote Bäckchen, Brombeeren färben sich bis zur Reife tief rot bis violett. Sekundäre Pflanzenstoffe sind zudem Basis der pflanzlichen Kommunikation. Als Duftstoffe ziehen sie Bestäuber an. Als Farbstoffe, die Blüten, Früchte oder Samen auffällig einfärben, sorgen sie für den Fortbestand und die Verbreitung der Art. Über die Wurzel ausgeschiedene Pflanzenstoffe sind Nachrichten an Nachbarpflanzen.

Für diese Vielzahl an Aufgaben haben die Pflanzen eine Vielfalt an Inhaltsstoffen entwickelt, die als Gemisch hochkomplexe Aufgaben übernehmen. Diese Vielstoffgemische, die die Pflanzen an ihrem festen Standort widerstandsfähiger machen, bieten uns Menschen eine bis heute unüberschaubare Bandbreite an biologisch wirksamen Inhaltsstoffen.

Welche Wirkung haben die sekundären Pflanzenstoffe auf den Menschen oder Tiere?

  • Antioxidative Wirkung: Antioxidantien neutralisieren freie Radikale und können so das Risiko von Zellschäden und Krankheiten reduzieren. Sie sind zum Beispiel in der Großen Brennnessel (Urtica dioica) zu finden.
  • Entzündungshemmende Wirkung: Einige Heilpflanzen enthalten Verbindungen, die entzündliche Prozesse im Körper hemmen können. Die Ringelblume (Calendula officinalis) gehört dazu.
  • Antimikrobielle Effekte: Viele sekundäre Pflanzenstoffe besitzen die Fähigkeit, das Wachstum oder die Verbreitung von Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilzen zu hemmen. Die Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) wirkt gegen Viren, Bakterien und Sprosspilze.
  • Schmerzlinderung: Einige sekundäre Pflanzenstoffe wirken auf das Nervensystem und können Schmerzen lindern. Die Inhaltsstoffe des Blauen Eisenhuts (Aconitum napellus) sind ein Beispiel.
  • Stimulation des Immunsystems: Manche sekundären Pflanzenstoffe können die Abwehrkräfte des Körpers stärken und so Erkrankungen vorbeugen oder entgegenwirken. Ein bekanntes Beispiel sind Auszüge des Rote Sonnenhuts (Echinacea pallida).
  • Hormonelle Effekte: Einige Heilpflanzen enthalten Substanzen, die hormonähnlich wirken oder die Hormonproduktion im Körper beeinflussen können. Ein Beispiel ist der Rotklee (Trifolium pratense), der mit seinen Phytoöstrogenen Frauen in den Wechseljahren hilft.
  • Entspannende oder anregende Wirkung: Bestimmte sekundäre Pflanzenstoffgemische können krampflösend und muskelentspannend sein. Sie können zudem Stress und Nervosität lindern. Ein Auszug aus Lavendel (Lavandula angustifolia) besitzt diese Fähigkeiten.

Sekundäre Pflanzenstoffe haben Ziele

Sekundäre Pflanzenstoffe interagieren in unserem Körper, in Zellen oder Organen mit verschiedenen Zielstrukturen, die pharmakologisch als Target bezeichnet werden. In Zellen unterschiedlicher Organismen finden sich einige gemeinsame Targets, auf die die meisten Wirkstoffe abzielen, auch die synthetischen. Man unterscheidet drei Gruppen von Targets:

  • Die große Gruppe der Proteine: Die meisten Pharmaka interagieren mit ihnen und stören ihre Funktion.
  • Die Biomembran, die jede Zelle umgibt: Viele pflanzliche Arzneimittel behindern ihre Stabilität oder Fluidität.
  • Die Erbinformation DNA: Einige Substanzen aus der Natur setzen hier an. Für die Phytotherapie interessant sind jene, die nicht das Erbgut schädigen, sondern die Zellteilung stören.

Für die Entwicklung pflanzlicher Arzneimittel ist es wichtig, diese Wirkmechanismen zu kennen und zu verstehen.

Wie wirken sekundäre Pflanzenstoffe?

Eine in der Phytotherapie eingesetzte Heilpflanze ist ein Substanzgemisch, ein Vielstoffgemisch, das aus verschiedenen sekundären Pflanzenstoffen besteht. Jede dieser Substanzgruppen hat definierte Targets:

  • Die Gruppe der Polyphenole ist weit verbreitet in Heilpflanzen. Zu ihnen gehören die Flavonoide und Gerbstoffe. Ihr Target sind Proteine. Sie binden sich unspezifisch an das Protein wie molekularer Kleister und behindern seine Beweglichkeit. Dadurch ist die Funktion des Proteins gehemmt.
  • Aldehyde, Epoxide, Sesquiterpenlakton und andere: Sie gehen unspezifische Bindungen mit Proteinen ein und hemmen sie ebenfalls dadurch.
  • Die Gruppe der Terpene, z.B. Monoterpene wir das Thymol, oder Sesquiterpene und Triterpene: Das sind lipophile Substanzen, die hauptsächlich mit Biomembranen interagieren. Sie sammeln sich im Inneren der Biomembran an und verändern dadurch ihre Spannung so, dass sie durchlässig wird oder sich sogar auflöst. Ganz extrem können das Saponine. Sie treten in Wechselwirkung mit dem Cholesterol der Biomembranen, machen sie löchrig und lösen Zellen auf.
  • Die Gruppe der interkalierenden Substanzen: Das sind kleine Moleküle, die sich unspezifisch zwischen die Basen der DNA einlagern. Sie stabilisieren die DNA dadurch, sodass bei der Zellteilung die Helikasen die DNA nicht weiter öffnen können. Die Zellteilung wird dadurch gehemmt. Solche Substanzen sind interessant in der medizinischen Therapie, weil sie sehr stark antibiotisch, antibakteriell und auch virustatisch und viruzid wirken. Die zum Teil wenig toxischen Substanzen bergen als pflanzliches Arzneimittel ein großes Potential in der Therapie von mikrobiellen Erkrankungen, zum Beispiel als natürliches Antibiotikum, wenn konventionelle Antibiotika wegen Resistenzbildung versagen. Laborversuche haben gezeigt, dass hier interkalierende Substanzen noch wirksam sind. Auch in der Krebstherapie können diese Substanzen relevant sein (Balkrishna et al., 2022).

In jedem unserer Heilpflanzenextrakte gibt es hunderte von sekundären Pflanzenstoffen, die genau diese unspezifischen Wechselwirkungen eingehen. Dass sie unspezifisch wirken, hat einen großen Vorteil: Interagieren sie mit einem Viruspartikel, können sie das Virus hemmen. Auf einer Bakterienmembran können sie das Bakterium hemmen. Wenn ein Körper durch eine Entzündung viele Entzündungsmediatoren produziert, können die Heilpflanzenextrakte auch diese hemmen. Die sekundären Pflanzenstoffe sind also in der Lage, als pflanzliches Arzneimittel an viele Targets anzugreifen, die medizinisch relevant sind.

Die Mischung macht's: sekundäre Pflanzenstoffe ergänzen sich

Wenn ein Chemiker versucht, aus einer Heilpflanze DIE wirksame Substanz zu isolieren, wird er scheitern. Einzelkomponenten des Vielstoffgemisches zeigen in der Regel keine oder nur geringe Wirkung. Das liegt daran, dass die sekundären Pflanzenstoffe ihre Wirkung gegenseitig verstärken oder erst ermöglichen. Es gibt Hinweise, dass einige der Heilpflanzenextrakte so genannte Synergisten enthalten. Das sind Substanzen, die die Wirkung anderer Substanzen verstärken. Saponine sind ein Beispiel. Sie verstärken die Aufnahme polarer Wirkstoffe über die Zellmembran. Andere Substanzen hemmen die Inaktivierungsmechanismen der Zelle. Für die Wirkung der Heilpflanze ist deshalb der Extrakt der ganzen Pflanze maßgeblich.

Literatur zu sekundären Pflanzenstoffen

Balkrishna A, Arya V, Sharma IP. Anti-Cancer and Anti-Inflammatory Potential of Furanocoumarins from Ammi majus L. Anticancer Agents Med Chem. 2022; 22(6):1030-1036.

Wink M. Die Verwendung pflanzlicher Vielstoffgemische in der Phytotherapie. Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 271-274.

Wink M. Wie funktionieren Phytopharmaka? Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26:262-270.

Wink M. Von Pfeilgift bis zum Rauschmittel: Sekundärstoffe - die Geheimwaffen der Pflanzen. Biologie in unserer Zeit 2015; 45:225-235.

Wink M. Wirkungen von in der Phytotherapie eingesetzten Vielkomponenten-Gemischen auf Proteine, Gene und Biomembranen. Schweizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin 2006; 21 (1): 42–53.